Eine dokumentarische Theatervorstellung über das Exil von Wilhelm II.
November 1918, der erste Weltkrieg geht zu Ende, Europa liegt in Schutt und Asche. Kaiser Wilhelm II. verliert die Kontrolle über die Armee und geht mit seinem Zug auf die Flucht. An einem kleinen niederländischen Grenzbahnhof wartet er auf die Gewährung von Asyl. Die niederländische Königin Wilhelmina zögert, den Deutschen Kaiser ins Land zu lassen, der von den Alliierten als Kriegsverbrecher verfolgt wird. Doch schließlich lässt sie das Signal auf freie Fahrt stellen. Eine absurde Geschichte beginnt, mehr als zwei Jahrzehnte wird der ungebetene Gast im niederländischen Exil verbringen.
Die Geschichte des abgedankten Kaisers ist der Anlass eines reisenden Europäischen Theaterprojektes, das im Sommer 2018 auf der Eisenbahn in Deutschland und in den Niederlanden auf die Schiene geht. In und auf einem Güterzug werden Objekte aus dem Privatbesitz von Wilhelm II. installiert und von Schauspieler*innen aus beiden Ländern in einer dokumentarischen Theateraufführung in Szene gesetzt. Die mobile Vorstellung macht an Bahnhöfen entlang der damaligen Fluchtroute Station.
Das Projekt WILHELM*INA entsteht in Zusammenarbeit des Theaters Das Letzte Kleinod (Deutschland) mit dem Museum Haus Doorn (Niederlande) und wird von Theatermachern und Museumskuratoren aus beiden Ländern realisiert.
… Hauptfigur des Spiels – der Stücktitel signalisiert es – ist neben dem abgedankten Kaiser, den Richard Gonlag mit dezent gezwirbeltem Bart auf stattliche Art und mit einem ausgeprägten Gespür für Komik verkörpert, die niederländische Königin Wilhelmina, die Sandra Macrander standesgemäß behütet und behandschuht gibt … Richard Gonlag mag seine Rolle, weil sie ihm die Möglichkeit gebe, Wilhelm als das »ziemliche Großmaul« vorzuführen, das er gewesen sei. Sandra Macrander wiederum schätzt den Umstand, dass ein tragisch unterfütterter Stoff mit viel Humor behandelt werde. Vor dem Übersee-Museum gaben die beiden Akteure schon mal eine Kostprobe, als sie rhetorisch und mit einem Feuerwehrschlauch vergnüglich miteinander rangen. Zur Freude jugendlicher Zaungäste. Royalismus kann sehr amüsant sein.
Radiobeitrag • NDR Kultur • Klassisch unterwegs
… Vor dem mit kaiserlichen Wappen verzierten Zug sind hingegen plakative XXL-Cinemascope-Bilder mit wackligen musikalischen Darbietungen dem Objekttheater gewidmet. Siemssen arbeitet sehr reduziert. Sein Hauptutensil sind Metalllüftungen des Hofzuges. Mit ihnen wird Gewehrgeknatter erzeugt, auch werden sie als Gasmasken und Mikrofon genutzt. Schauspieler sinken zusammen oder posieren wehrhaft. Damit ist der 1. Weltkrieg und der November 1918 in wenigen Minuten abgehandelt. Das Requisit aber begleitet fortan die Handlung, kommt auch als Lenkrad, Hutschachtel, Telefon, Suppenschüssel oder Reichsapfel zum Einsatz. So punktuell es immer wieder auftaucht, so erzählt Siemssen auch seine Geschichte: Das Ganze ist kein Stück – sondern ein faszinierender Schlaglichterreigen als pointilistisches Stimmungsbild.
Schon der Ansatz, in einem Zug ein Theaterstück zu spielen, in dem tatsächlich ein Reisezug eine inhaltliche Bedeutung hat und dann mit diesem Zug durch die Lande zu fahren, ist so originell, dass sie ungläubiges Staunen auslöst. Aber das Theater »Das Letzte Kleinod« praktiziert genau das sechs Wochen lang in acht Städten.